Verursacht Milch Prostatakrebs?

Tore Aleksandersen, der norwegische Startrainer der Volleyballerinnen von „Allianz MTV Stuttgart, dem Deutschen Meister 2022, geht mit seiner tödlichen Erkrankung ganz offen um. In einem Interview in der Süddeutschen Zeitung vom 8. Februar 2023 berichtet er, dass er mit 53 Jahren Prostatakrebs im Endstadium habe. Derzeit mache er an der Uniklinik in Tübingen eine Immuntherapie, er nennt das eine „Crème-de-la-Crème-Therapie“ und kämpft weiter. Auf die Frage, ob er keine Bitterkeit verspüre, berichtet über das Drama der übersehenen Diagnose. Er hatte 2017 bei seinem Arzt in Norwegen eine Prostata-Vorsorge gemacht – der hatte aber den erhöhten PSA-Wert, der mit 25 hochverdächtig war, übersehen. Anfang 2020 bekam er dann Beschwerden und es war zu spät: Er hatte schon Metastasen „in der Wirbelsäule und in der Lymphe“.

Risikoprofile an Prostatakrebs zu erkranken?

So jung wie Tore Aleksandersen an Prostatakrebs zu erkranken, ist ungewöhnlich und deutet auf eine auch genetisch ausgelöste aggressive Form hin. Trotzdem hätte ihn eine rechtzeitige Diagnose im Jahre 2017 mit einer operativen Entfernung der Prostata vielleicht retten können. Für den 3-fachen Vater eine dramatische Erkenntnis.

Die bösartige Erkrankung der Prostata ist weltweit der häufigste Krebs des Mannes. Es gibt inzwischen Unmengen von Daten, die es möglich mache, das Risikoprofil zu schärfen und Risikogruppen zu definieren. Einige Beispiele

  • hatte der Vater oder Bruder Prostatakrebs, ist das Risiko zwei- dreifach erhöht
  • sind 2 Verwandte ersten Grades (Vater, Brüder) erkrankt, ist das Risiko schon 5- 10-fach höher
  • je jünger die Verwandten zum Zeitpunkt der Erkrankung sind, desto höher ist das Risiko
  • Männer, die die „Angelina Jolie-Krebsgene“ in Form von mutierten BRCA-Genen haben, haben ein um 25 Prozent erhöhtes Risiko, an Prostatakrebs zu erkranken.
  • Afroamerikaner haben im Vergleich zu weißen Amerikanern ein um 50 Prozent erhöhtes Risiko. Ursache ist möglicherweise, dass die Prostatazellen der Afroamerikaner empfindlicher auf das männliche Geschlechtshormon Testosteron reagieren.
Soja-Nahrung als Schutz vor Prostatakrebs

Es gibt ein erstaunliches Phänomen: – Prostatakrebs ist bei Asiaten sehr viel seltener als bei Nordamerikanern und Europäern. Als Ursache werden sogenannte Phytoöstrogene verantwortlich gemacht. Das sind Substanzen, die in Pflanzen wie Soja und Tofu vorkommen und ähnlich dem weiblichen Geschlechtshormon Östrogen wirken. So fand man im Urin von Japanern eine fünfzigfach höhere Konzentration dieser Phytoöstrogene als bei Amerikanern. In Studien zeigte sich, dass bei Asiaten, die jeden Tag mehr als ein Glas Soja-Milch tranken, das Risiko für Prostatakrebs um mehr als 70 Prozent gesenkt wurde. Aber wenn Asiaten auswandern und den westlichen Lebensstil und insbesondere die westliche Ernährungsweise annehmen, geht dieser Vorteil der niedrigeren Rate von Prostatakarzinomen verloren. Das ist ein Beweis dafür, dass Ernährung das Risiko beeinflusst, an Prostatakrebs zu erkranken.

Eine wichtige Unterscheidung besteht zwischen normaler Vollmilch, die auch bei Erhitzung in Form von Pasteurisieren weiter Wachstumsstoffe und Hormone enthält und der durch Milchsäure-Bakterien „zersetzten“ Milch, deren biologische Sprengkraft dadurch massiv reduziert wird.
Milch und Milchprodukte sind nicht das Gleiche

In den 50-ger Jahren wurde die Milch nicht nur zu einem wichtigen Bestandteil der Nahrung, sondern in Form der Milchbars auch Ausdruck eines neuen Lebensgefühls. Milch war zwar schon immer ein wesentlicher Bestandteil der Nahrung – aber sie musste haltbar gemacht werden. Heute nimmt man Kühlschränke, vor 100 Jahren gab es sie noch nicht. In den USA wurden Kühlschränke dann in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts zum Standard, in Deutschland aber erst in den 50er Jahren.

Um die Milch haltbar zu machen, wurde sie zu Käse, Dickmilch, Joghurt oder Kefir umgewandelt. Dies erfolgt mit Hefen, Pilzen oder Milchsäurebakterien. Bei diesem Prozess der Fermentation zerlegt das Enzym Laktase den Milchzucker Laktose in die Einfachzucker Glukose und Galaktose, die dann von Bakterien zu Milchsäure abgebaut werden. Diese Säure verändert das Milcheiweiß Kasein, das daraufhin gerinnt und eine festere Form annimmt.

Milch als „Treiber“ für erhöhtes Risiko früher zu sterben

Vor wenigen Jahren erschienen zwei epidemiologische Studien aus Schweden, die dem Glaubenskrieg um den Gesundheitswert der Milch eine entscheidende Wende geben dürften. In zwei Studien mit jeweils mehr als 100.000 Teilnehmern wurde diese mehr als 11 Jahre nachbeobachtet (Michaëlsson K, 2014). Eine später abgeschlossenen Studie bestätigte die Ergebnisse der ersten Arbeit und bestätigte einen spektakulären Befund (Tognon G, 2017).

Diejenigen, die jeden Tag mehr als 2,5 Gläser „normal-pasteurisierte“ Milch zu sich nahmen, hatten ein 32 Prozent erhöhtes Risiko, früher zu versterben als diejenigen, die weniger als 1 Glas in der Woche tranken (Tognon G, 2017). Was das konkret an verlorener Lebenszeit bedeutet, also ob das durchschnittlich ein Jahr, ein Monat oder eine Woche ist, wird nicht mitgeteilt. Vermutlich wird das bei einer späteren Auswertung mitgeteilt.

Milch und Prostatakrebs

Obwohl die Beteiligung der Milch als ein Treiber von Prostatakrebs schon lange diskutiert wird (Sargsyan A., 2021), ist es selbst den spezialisierten Urologen kaum bekannt. Berühmt ist die isländische Reykjavik-Studie, die zeigen konnte, dass täglicher Milchkonsum während der ersten 20 Lebensjahre im Vergleich zu nicht täglichem Milchkonsum das Risiko für ein aggressives Prostatakarzinom im Erwachsenenalter um den Faktor 3,2 erhöht (Torfadottir J E, 2011). Aber was passiert da, warum ist die so „gesunde Milch“ auf einmal „Teufelszeug“ und soll die Entwicklung eines Prostatakrebs auslösen oder zumindest befördern?

Milch hat die Aufgabe, das Neugeborene überlebensfähig und schnell wachsen zu lassen. Deshalb hat die Milch sehr viele Substanzen, die extrem starke Wachstumstreiber sind. Dazu gehören sowohl die durch die Spaltung des Milchzuckers frei gesetzte Galaktose, der sehr hohe Anteil an verzweigtkettigen essentiellen Aminosäuren wie Leucin und Isoleucin (BCAA), aber auch virusartige Kleinstpartikel, sogenannte Milchexosomen. Diese eingepackten Mikropartikel enthalten Mikro-Ribonukleinsäuren, sogenannte miR’s, die das genetische Material der Zellen stimulieren und zum Wachstum des Zellverbandes anregen. Außerdem wird Insulin und ein insulin-ähnlicher Wachstumsfaktor angeregt.

Im Mittelpunkt all dieser Stimulationsaktionen steht ein Eiweiss, das als einer der zentralen Treibstoffe der Zellen bezeichnet werden kann. Das sog. mTOR ist für viele Prozesse der Zellen elementar, bei denen das Zellwachstum und der Zellzyklus gesteuert werden. Biologisch macht das beim Neugeborenen Sinn, egal ob Kalb oder Mensch. Es muss schnell wachsen, um im Überlebenskampf eine Chance zu haben.

Der starke Stimulus zum Zellwachstum ist sehr ausgeprägt bei der nicht fermentierten Milch, egal ob pasteurisiert oder nicht. Erst die Fermentierung, also die Zersetzung durch Milchsäurebakterien, macht die Milch quasi „ungiftig“. IGF= insulinähnlicher Wachstumsfaktor, BCAA = verzweigtkettige essentielle Aminosäuren, miR21 = Mikro-Ribonukleinsäuren, mTORC1 = mecanistic Target of Ripamycin
Fermentierte Milch ist „ungiftig“, aber nicht die Trinkmilch

Die bereits erwähnten Studien aus Skandinavien, die bei erhöhtem Milchkonsum eine um 32 Prozent erhöhte Wahrscheinlichkeit für ein früheres Versterben als bei geringem Milchkonsum gezeigt haben, konnten dieses Phänomen nicht bei fermentierten Milchprodukten wie Käse oder Joghurt nachweisen.

Prof. Melnik ist Dermatologe in Gütersloh und lehrt an der Universität Osnabrück. Er hat den „Zündstoff“ Milch anfangs bei seiner Beschäftigung mit der Akne erforscht und dechiffriert. Inzwischen ist er ein international anerkannter Experte auf dem Gebiet der Milch-assoziierten Forschung. Er hat in vielen wissenschaftlichen Beiträgen aus dem scheinbar unübersichtlichen Puzzle der Einzelinformationen ein biologisch-biochemisches Konstrukt herleiten können, dass die Milch in einem sehr kritischen Licht darstellt. Er hat auch in einem informativen Beitrag diskutiert, dass fermentierte Milchprodukte „ungefährlich“ sind, weil all die Zündstoffe der überstarken Zellproliferation „verdaut“ und ausgeschaltet werden.

Was bedeutet das für meine Ernährung?

Frische Milch ist lecker, ich habe sie lange Jahre gerne getrunken. Aber Milch hat keinerlei essentielle Stoffe, die nicht auch in anderen Lebensmittels enthalten sind. Die oben geschilderten Zusammenhänge waren mir lange nicht bekannt und sind auch nicht im Fokus der wissenschaftlichen Diskussion. Da geht es immer um die Therapie einer ausgebrochenen Erkrankung, weniger um Prävention. Der Zusammenhang mit nicht-fermentierter Kuhmilch als möglicher „Treiber“ eines Prostatakarzinoms ist noch in keiner Leitlinie verankert, sollte aber zukünftig sicher weiter intensiv erforscht werden. Ich hoffe, dieser Blogbeitrag trägt dazu bei.

Nach oben scrollen