Männerglaube: Geht Pinkeln im Stehen besser?

Ein legendäres Gerichtsurteil

Im Jahr 2015 gab es in Düsseldorf ein Gerichtsurteil, das sogar der BBC in England eine Meldung wert war. Demnach dürfen männliche Mieter im Stehen pinkeln, das gehöre zum vertragsmäßigen Gebrauch. Zu dem Urteil war es gekommen, weil die Vermieterin fast 2000 Euro der Kaution einbehalten hatte, denn ein Fachmann hatte festgestellt, die stumpfen Flecken neben der Toilette kämen von Urinspritzern. Der Mieter klagte dagegen und bekam recht. Denn dem Richter zufolge sei Urinieren im Stehen weitverbreitet, aber die Gefahren für Böden seien kaum bekannt. Der Vermieter hätte anderenfalls auf die Empfindlichkeit des Bodens hinweisen müssen (RP online 2015).

Weiter schreibt der Richter Stefan Hank in der Urteilsbegründung: »Trotz der in diesem Zusammenhang zunehmenden Domestizierung des Mannes ist das Urinieren im Stehen durchaus noch weit verbreitet. Jemand, der diesen früher herrschenden Brauch noch ausübt, muss zwar regelmäßig mit bisweilen erheblichen Auseinandersetzungen mit – insbesondere weiblichen – Mitbewohnern, nicht aber mit einer Verätzung des im Badezimmer oder Gäste-WC verlegten Marmorbodens rechnen« (RP online 2015).

Im Stehen Wasser lassen: bequem oder notwendig?

Viele Männer beschreiben das Gefühl, im Stehen besser die Blase entleeren zu können. Bequemer und mitunter vorteilhafter ist es sicher. Denken Sie an die Warteschlangen in der Pause bei einem Konzert, die vor der Männertoilette immer kürzer sind als vor dem Frauen-WC. Aber gibt es wirklich medizinisch nachvollziehbare Gründe, warum die Entleerung im Stehen besser sein soll? Oder ist es nur ein Vorwand aus Gründen der Bequemlichkeit?

Wie stellt man fest, was besser ist?

Es gibt mehrere wichtige Gradmesser, die man zur Frage, welche Körperhaltung beim Pinkeln besser ist, beachten muss. So muss man feststellen

  • in welcher Körperhaltung der Harnstrahl kräftiger ist,
  • wie lange man zum Entleeren der Blase braucht und
  • ob die Blase vollständig entleert wird oder Resturin zurückbleibt?
  • Denn Resturin kann eine Ursache sein, warum man bald wieder zur Toilette gehen muss – was insbesondere nachts ein Problem sein kann.
Es gibt tatsächlich wissenschaftliche Untersuchungen dazu

Der holländische Urologe de Jong der Universität in Leiden hat sich die Mühe gemacht, alle jemals veröffentlichten Untersuchungen zur Frage der optimalen Sitzposition bei Männern zu sichten und auszuwerten. Man spricht hierbei von sogenannten Metaanalysen. Der große Vorteil ist, dass nicht laufend neue Daten produziert werden (die dann im Wissenschaftsbetrieb leicht untergehen), sondern Jemand die vorhandenen Daten nach strengen Kriterien auswertet und vergleicht. Das hilft bei der Beantwortung von Fragen und hat für die Autoren den Vorteil, dass die aufwendige Analyse auch als eigenständige wissenschaftliche Arbeit gewertet wird.

Bei (Prostata)-gesunden Männern gibt es keinen Unterschied

Eine wichtige Erkenntnis der Analyse ist: Bei gesunden Männern spielt es keine Rolle, ob sie beim Wasserlassen stehen oder sitzen. Sowohl die Stärke des Harnstrahls als auch die verbleibende Urinmenge in der Blase, der sogenannte Restharn, zeigen keinen Unterschied. Es stimmt also nicht, wenn Männer behaupten, dass sie im Stehen besser Wasser lassen können. Es kann folglich nicht als Vorwand dienen, nur weil man zu bequem ist, die Hose zu „lüften“ und sich in die Sitzstellung zu begeben.

Eingefleischte Stehpinkler könnten allerdings den juristischen Kommentar des Richters beim »Pinkelurteil« nutzen und sich gegen die von ihm so bezeichnete »Domestizierung des Mannes« wehren. Mein Rat wäre allerdings: Gesunde Männer sollten zu Hause und bei Gästen sitzen, aber in der freien Landschaft und auf öffentlichen Toiletten wie beispielsweise bei Sportveranstaltungen durchaus den biologischen Vorteil des Stehpinkelns nutzen. Dies versuchen übrigens auch Frauen mit Hilfe von Einweg-Urinierhilfen, die auch als „Urinella“ bezeichnet werden. Andere Bestrebungen gehen dahin, den Frauen die Blasenentleerung im Stehen zu ermöglichen und haben zu patentierten Systeme wie bei einer dänischen Firma geführt.

Es stimmt: Im Sitzen ist der Verlauf der Harnröhre (rot gepunktete Linie) eher geknickt. Aber wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass bei einer vergrößerten Prostata der Entspannungseffekt der Muskulatur des Beckenbodens wichtiger ist und der Harnstrahl erleichtert wird.
Unerwartet und falsch empfohlen: Bei einer großen Prostata besser sitzen

Man denkt, man könne im Stehen die Blase besser entleeren, weil man stärker zu drücken vermag. Aber das genaue Gegenteil ist der Fall. Die Messungen zeigen, dass es bei einer vergrößerten Prostata mit behindertem Harnfluss besser ist, sich zur Blasenentleerung zu setzen. Sowohl die Harnstrahlstärke ist messbar kräftiger als auch der verbleibende Restharn in der Blase geringer. Dafür gibt es drei Gründe:

  • Im Stehen muss der Beckenboden muskulär stabilisiert werden. Da es zum Teil dieselben Muskeln sind, die den Beckenboden und die Harnröhre stabilisieren, wird der Urinstrahl im Stehen behindert.
  • Beckenmuskeln und Blasenmuskel arbeiten über eine Nervenverbindung reflexhaft zusammen. Soll der Urinfluss gestoppt werden, spannt man den Beckenboden an und das führt zu einer biologisch gewünschten Begleitreaktion mit Hemmung des Blasenmuskels. Denn sonst würden beide Systeme gegeneinander arbeiten. Was biologisch sinnvoll ist, kann aber bei der vergrößerten Prostata stören. Man muss kräftiger drücken, doch durch die Position im Stehen wird der Blasenmuskel als Treiber gehemmt.
  • Man kennt es aus dem Alltag: Bei einem starken Blasendrang springt auch der Darm an, und es kann zum Luftabgang kommen. Je nach Ort kann das sehr unangenehm sein, so daß man als Gegenmaßnahme den Schließmuskel des Darmes anspannt. Genau das behindert dann aber ebenfalls den Urinfluss.
Botschaft am Ende

Die Möglichkeit, im Stehen Wasser zu lassen, hat viele Vorteile. Es geht schneller, ist bequemer und praktischer. Schlangen mit Stehpinklern werden schneller kürzer und sie können auch bei den oft verschmutzten öffentlichen Toiletten eher eine »No touch-Strategie« umsetzen. Aber unbestritten nimmt mit der Fallhöhe des Urins auch die Wucht der Spritzer zu.

Deshalb sollte man – wenn immer möglich – aus hygienischen Gründen das Sitzpinkeln leben. Und hat ein Mann durch eine vergrößerte Prostata einen geschwächten Harnstrahl, ist es nicht nur sauberer, sondern auch gesünder und besser, sich zu Setzen. Wegen des entspannten Beckenbodens wird der Urinstrahl besser.

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