Prostataoperation: Macht das was mit der Potenz?

In der Sprechstunde fragen mich Männer oft, ob eine Prostataoperation die Potenz beeinflussen würde? Eigentlich müßte ich mit einem langweiligen „Jein“ antworten, diesem Kofferwort, das Ja und Nein meint und von den Psychologen als Ausdruck einer Entscheidungsschwäche gedeutet wird. Aber so eine Antwort hilft keinem. Deshalb muß man tatsächlich die unterschiedlichen Mechanismen erläutern, die im Volksmund unter dem Oberbegriff der „Potenz“ gefaßt werden. Denn nur dann versteht man die verschiedenen therapeutischen Möglichkeiten, da eine Erektionsstörung gut behoben werden kann. Übrigens im Unterschied zu einem Nachlassen der Libido.

Libido, Erektion und Co

Aber was meint ein Mann, wenn er vor einer Prostataoperation fragt, ob er nach der Operation impotent sei? Einen verminderten sexuellen Antrieb, eine Erektionsschwäche, eine reduzierte Sensibilität der Eichel oder eine nachlassende Spermamenge? Deshalb muss man wissen:

  • Grundlage ist die sogenannte Libido, die als Begriff aus der Psychoanalyse den sexuellen Trieb meint. Der ist aber außer von psychischen Faktoren wie beispielsweise Stress und subjektiven Einflüssen wie Schönheitsidealen insbesondere auch vom männlichen Geschlechtshormon abhängig, dem Testosteron. Diese Libido wird durch die Operation nicht beeinflusst. Jüngst wurden Daten präsentiert, dass möglicherweise das Eiweiß „Kisspeptid“ zur medikamentösen Stimulation bei einem Libidoverlust eingesetzt werden kann.
  • Ein 2. wichtiges Element der Sexualität ist die Sensibilität der Eichel, die zum Orgasmus führt. Die verantwortlichen Nerven verlaufen in Strukturen, die operativ bei keiner Prostataoperation geschädigt werden. Zudem berichten Männer, daß sie zwar eine Erektionstörung mit einer fehlenden Gliedversteifung hätten, aber durch Stimulation der Eichel trotzdem zu einem Orgasmus kommen. Das zeigt, daß der Orgasmus (des Mannes) unabhängig von der Erektion stattfinden kann, ähnlich wie der Orgasmus der Frau nicht unbedingt einen erigierten Penis braucht.
  • Das 3. Element der Potenz – das von vielen Männern vordergründig als entscheidendes Element betrachtet wird – ist das Phänomen der Gliedversteifung, die Erektion. Biologisch ist die Notwendigkeit einer Erektion absolut verständlich, da dadurch die Ejakulation zum Zweck der Arterhaltung hoch effektiv unterstützt wird (s. Bild).
Der biologische Zweck der Erektion ist, dass das für die Arterhaltung so wertvolle Sperma zielgenau am Muttermund „platziert“ wird. Es ist dem Unterschied zwischen Pistole und Gewehr am besten vergleichbar, bei dem die Zielgenauigkeit von der Länge des Rohrlaufs abhängt. Bei dieser Platzierung des Spermas da, wo es biologisch notwenig ist, hilft die Erektion (aus: Roth, von Rundstedt „Der Prostata- und Blasenguide“ Droemer-Knaur, 2023, Zeichnung Natascha Römer).
  • Lange Zeit war unverstanden, wie es zum Phänomen der Erektion als Gliedversteifung kommt und durch welchen Nervenmechanismus das zustande kommt. Wie so oft war es ein Zufall, der Patrick Walsh aus Baltimore bei einem Besuch des holländischen Urologen Piet Donker 1981 in Leiden dabei half, das Nervengeflecht neben der Prostata zu entdecken, das zur Gliedversteifung führt. Bis zu diesem Tag glaubte man, dass die verantwortlichen Nerven mitten durch die Prostata laufen. An diesem Tag im Jahre 1981 entdeckten die beiden Urologen dann aber ein Nervengeflecht, das am Rand außerhalb der Prostatakapsel verlief. Es ist Teil des paarsympathischen autonomen Nervensystems und führt zu einer Entspannung der Muskelzellen in den Blutgefäßen der Schwellkörper. Werden sie durch sexuelle Erregung stimuliert, kommt es zu einem vermehrten Zufluss von Blut in die Schwellkörper und zur Gliedversteifung.
Die Prostata hat einen inneren Drüsenanteil (1) zur Produktion eines Teils des Ejakulats und eine Kapsel als äußere Begrenzung (2). Außerhalb dieser Kapsel verlaufen die Erektionsnerven (3) und am Unterrand der Prostata liegt der Schließmuskel (4), der für die Dichtigkeit nach der Entfernung der inneren Drüse (rechts oben) oder auch der Komplettentfernung der Prostata bei einem Krebs (rechts unten) verantwortlich ist (aus: Roth, von Rundstedt „Der Prostata- und Blasenguide“ Droemer-Knaur, 2023, Zeichnung Natascha Römer).
Erektionsnerven und Prostataoperaion

Es ist entscheidend, welche Erkrankung der Prostata vorliegt. Handelt es sich um eine gutartige Vergrößerung, dann muss lediglich der innere Drüsenanteil entfernt oder verkleinert werden – und die außen liegenden „Erektionsnerven“ bleiben unberührt (siehe Abbildung gestrichelte Linie). Ganz anders bei einer Krebserkrankung der Prostata: Dann muss die gesamte Prostata mitsamt der Kapsel entfernt werden. Auch wenn dabei die außen liegenden „Erektionsnerven“ grundsätzlich erhalten werden können, ist das nicht immer zu gewährleisten.

Verkleinerung der gutartige Prostatavergrößerung: Retrograde Ejakulation

Bei einer Verkleinerung der zu engen oder vergrößerten inneren Prostata kommt es zu keiner Störung bzw. Verletzung der außerhalb der Kapsel liegenden Erektionsnerven. Deshalb ist die Gliedversteifung weiter vollkommen störungsfrei möglich. Da bei der Operation aber das innere Drüsengewebe entfernt wird, reduziert sich das Volumens des Ejakulats um ungefähr 40 % Es bleiben aber noch die Menge des Sekrets der Samenbläschen und des eigentlichen Spermas.

Es kommt aber meist zu einem Phänomen, das als „trockener Orgasmus“ bezeichnet wird. Es gibt nämlich einen inneren Ringmuskel zwischen Blasenhals und Prostata, der bei der Ejakulation verschlossen wird, so dass sich der plötzliche Druckaufbau in der Prostata nur nach „vorne“ Richtung Penis entladen kann. Da dieser innere Ringmuskel bei den meisten der Operationsverfahren der gutartigen Vergrößerung der Prostata zerstört oder in seiner Funktion geschwächt wird, entleert sich das Ejakulat nach „hinten“ (retrograd) in die Blase. Für das sensible Phänomen des Orgasmus ist das vollkommen unerheblich und auch ansonsten nicht gesundheitsschädlich. Gestört ist lediglich die normale Fortpflanzungsfähigkeit – was man den Männern vor der Operation sagen muss – aber für 99 Prozent der meist älteren Männer vollkommen belanglos ist.

Im Normalfall (1) verschließt sich bei der Ejakulation der innere Ringmuskel zwischen Blase und Prostata, so dass sich das Ejakulat nach „vorne“ Richtung Penis entleert. Ist dieser Ringmuskel nach einer inneren Drüsenentfernung gestört (2), nimmt das Ejakulat den Weg des geringsten Widerstandes zurück („retrograd“) in die Blase.
Radikaloperation beim Prostatakrebs und Erektionsnerven

Da die Krebserkrankung der Prostata fast immer von der Kapsel aus nach innen wächst, muss man die gesamte Drüse einschließlich des Randareals, der sogenannten Kapsel, entfernen. Die Nerven für die Erektion laufen aber unmittelbar am Rand der Kapsel. Sie sind einem Spinnwebennetz vergleichbar, dass selbst mikroskopisch extrem schwer erkennbar ist. Trotzdem ist es heute möglich, diese Nerven bei der Radikaloperation der Prostata zu erhalten. Dies allerdings nicht immer sinnvoll oder möglich, wofür es mehrere Gründe gibt:

  • der Krebs ist durch die Kapsel durchgebrochen und man muss – um den Krebs vollständig zu entfernen – auch die benachbarten anatomischen Strukturen wie die Nerven bewußt mit entfernen.
  • trotz aller mikrochirurgischen Techniken – auch bei den Roboter-assistierten Verfahren wie der „da Vinci-Operation“ – gelingt es mitunter aus anatomischen Gründen nicht, die Nerven exakt darzustellen und zu schonen. Gerade bei ausgeprägten mit den Nerven verlaufenen Blutgefäßen kann ein Erhalt dieser „spinnwebenartigen“ Nervenstrukturen nahezu unmöglich sein, weil begleitende Blutungen die Sicht „versperren“.
  • bei älteren Männern ist die Gliedversteifung oft schon vor der Operation eingeschränkt. Wenn dann durch die Operation noch einzelne der insgesamt ca. 70 extrem kleinen Erektonsnerven zerstört werden, kann das zum Verlust der Erektion führen.
  • durch die Operation kommt es oft zu Überdehnungen und Mikroverletzungen der Nerven und sie brauchen dann nach der Operation 6 bis 12 Monate, um sich zu regenerieren. In dieser Zeitspanne wird dann ein Verlust der Erektionsfähigkeit empfunden – auch wenn es sich später wieder erholen kann.
Erektionsstörung nach der Operation: Lange keine Katastrophe mehr!!

Auch wenn man glaubt, dass das Dilemma der Therapie einer Erektionsstörung erst mit der Entdeckung von „Viagra“ beseitigt wurde, so ist das nur ein Teil der Wahrheit. Denn es gab auch schon vorher mehrere Möglichkeiten, eine Erektionsstörung zu behandeln. Dabei ist fast unerheblich, ob die Betroffenen vorher eine Krebsoperation der Prostata hatten. Denn die Therapiemöglichkeiten helfen auch denjenigen, die beispielsweise

  • wegen ihres Alters
  • oder einer Systemerkrankung wie einem Diabetes mellitus
  • oder einem Unfall mit einer Querschnittslähmung eine Erektionsstörung haben.
Sind noch Reste der Erektionsnerven vorhanden: Pillentherapie möglich

Am einfachsten ist es, wenn die Einnahme einer »Potenzpille« ausreicht. Damit sind all die Substanzen gemeint, die als »blaue Pillen« berühmt wurden. Sie führen zu einer Weitstellung der Gefäße der Schwellkörper, sodass vermehrt Blut in die Schwellkörper einströmen kann, was zu der gewünschten Gliedversteifung führt. Dieser Mechanismus des nervenvermittelten erhöhten Blutzustroms funktioniert aber nur, wenn noch Erektionsnerven vorhanden sind.

Es gibt heute verschiedene Substanzen mit einem unterschiedlichen Wirkungsprofil. Dabei gibt es das wie ein „On-Schalter“ funktionierende Sildenafil (Substanz von Viagra) oder Langzeitpräparate wie Tadalafil, die über 12 bis 24 Stunden zu einem verbesserten Blutzufluss im Penis führen.

Wenn die Pillen nicht mehr helfen: Die Vakuumpumpe

Sind alle Erektionsnerven entfernt oder zerstört und führen die »Potenzpillen« zu keinem Effekt, kann man die Erektionsstörung noch auf drei weiteren Wegen kompensieren:

Mit einer Vakuumpumpe wird ähnlich dem Schröpfen über den Vakuumeffekt Blut in die Schwellkörper angesaugt und dann an der Penisbasis ein elastischer Ring von der Pumpe auf die Penisbasis abgerollt. Dieser verhindert den Abströmt des Blutes aus den Schwellkörpern und kann nach dem Verkehr wieder entfernt werden.

Bei dem Vakuumpumpensystem wird der kolbenförmige Zylinder über den Penis gestülpt und an der Basis (3) aufgedrückt. Dann wird über einen Handgriff (2) ein kleines integriertes Absaugsystem (1) aktiviert, sodass durch das Vakuum Blut in den Penis gesaugt wird. Bei einer ausreichenden Erektion wird dann eine elasti­ scher Gummiring (3) vom Kolben auf den Penis abgerollt, der das Blut im Penis hält. (aus: Roth, von Rundstedt „Der Prostata- und Blasenguide“ Droemer-Knaur, 2023, Zeichnung Natascha Römer)
Der legendäre Selbstversuch des Prof. Brindley mit öffentlicher Erektions-Show

In den 1970 und 1980-ger Jahren wurden vor allem durch Tom F. Lue in San Francisco revolutionäre Erkenntnisse zur Physiologie der Erektion gewonnen. Er berichtet in einem Beitrag von dem legendären Moment im Jahre 1983, als während einer Vortragssitzung der britische Wissenschaftler Dr. Brindley im wahrsten Sinne die Hosen fallen ließ und mit einer Spritze in den Penis eine Erektion provozierte. Ob die Damen in der ersten Reihe wirklich in Ohnmacht fielen, läßt sich nicht mehr überprüfen, wird aber berichtet.

Ein geniales Prinzip: „Insulinspritze“ für die Erektion

Dabei hört es sich verrückt an, aber es funktioniert genial effektiv und frappierend einfach. So wie der Diabetiker seit der Entdeckung des Insulins Kuchen essen kann und nur seine Dosis der Insulinspritze erhöhen muss, so kann es auch der Mann mit einer Erektionsstörung machen. Die Entdeckung der „Erektionsspritze“ ermöglicht es Männern mit einer gestörten Nervenversorgung nach einem Unfall oder mit einer schlechten Blutversorgung wie beispielsweise bei Rauchern oder Diabetikern, eine Erektion zu bekommen. Spritzt man sich das Medikament zur Gefäßerweiterung in den Schwellkörper, kommt es zu dem vermehrten Blutzufluss, ohne dass es der „Informationsvermittlung durch die Erektionsnerven“ bedarf. In der Praxis zeigen heutzutage Urologen dem Betroffenen, wie und wo er sich die Mikrospritze zu geben hat und der Betroffene kann es dann selbst nach Bedarf durchführen. Man nennt diese Therapie »SchwellKörper-Autoinjektions-Therapie (SKAT)«.

Bei der Schwellkörper­Autoinjektionstherapie (SKAT) wird dem Betroffenen bei­ gebracht, sich selbst eine Mikrospritze in den Schwellkörper (1) zu setzen und eine geringe Menge eines gefäßerweiternden Mittels zu spritzen. Das führt dann zur Schwellkörpererweiterung mit einer Erektion (aus: Roth, von Rundstedt „Der Prostata- und Blasenguide“ Droemer-Knaur, 2023, Zeichnung Natascha Römer).
Botschaft am Ende

Wenn man sich Gedanken über eine mögliche Potenzstörung nach einer Operation der Prostata macht, muss man zwischen den verschiedenen physiologischen Abläufen unterscheiden. Die Operation der gutartig vergrößerten Prostata führt zu keiner Störung der Erektion, lediglich einer rückwärts (retrograd) gerichteten Ejakulation, die mit Ausnahme der Fortpflanzungsfähigkeit zu keiner nennenswerten Beeinträchtigung des Sexuallebens führt.

Bei einer operativen Behandlung eines Prostatakrebs mit einer „Komplettentfernung“ der Prostata einschließlich der Kapsel kann es zu einer Verminderung oder Einschränkung der Erektionsfähigkeit kommen. Dabei ist unerheblich, ob die Resektion der Erektionsnerven wegen dem fortgeschrittenen Krebs chirurgisch notwendig war oder Folge der komplexen Anatomie oder der mangelnden Expertise des Operateurs war. Es ist wichtig zu wissen, dass die Erektionsstörung gut zu behandeln ist, entweder mit Tabletten oder Hilfsmitteln wie einer Vakuumpumpe, der Selbstinjektion von erektionsauslösenden Substanzen oder auch durch Implantation einer Penisprothese.

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