Der plötzliche Drang zur Blasenentleerung – ohne dass eine Entzündung vorliegt! – wird auch als Reizblase, Drangblase oder überaktive Blase bezeichnet. Es gibt eine Vielzahl von Ursachen. Fast sensationell neu sind Hinweise, dass auch die Blase eine bakterielle Besiedlung hat, eine Art „Blasen-Ökosystem“. Und kommt es zu einer Verschiebung in diesem bakteriellen „Blasen-Ökosystem“, könnte dies Drangbeschwerden erklären und vielleicht auch ein neuer Therapieansatz sein.
Der Urin bei Gesunden ist nicht steril!
Erste Berichte aus dem Jahr 2008 und weitere Untersuchungen im Jahre 2012 und 2018 ergaben überraschende Ergebnisse: Der Urin ist – obwohl in den klassischen Analysemethoden steril – trotzdem nicht steril. Denn es zeigten sich im Urin eindeutige genetische Spuren von Bakterien. Als ob auch die scheinbar sterile Blase Bakterien hat, ähnlich dem Darm. Sind diese vielleicht als Bakteriennester in tieferen Zellschichten versteckt? Noch ist Vieles unverstanden, aber es gibt Hinweise, dass auch die Blase als „steriles Organ“ zum Mikrobiom des Menschen beiträgt.
Östrogene verändern das Blasen-Mikrobiom
Erst im November 2020 wurde eine Arbeit veröffentlicht, die sensationelle Ergebnisse zeigte. Bei älteren Frauen ohne Anzeichen für eine bakterielle Entzündung – aber mit Drangbeschwerden der Blase – wurde der Urin auf spezifische Eiweißspuren verschiedener Bakterien untersucht. Anschließend erhielten alle Frauen 12 Wochen lang lokal im Scheidenbereich Östrogene. Nach Abschluss der 12 Wochen wurden sie nach ihren Symptomen befragt und der Urin erneut untersucht. Das Ergebnis war mehr als überraschend:
- die Drangbeschwerden der Frauen hatten sich gebessert
- die Mischung verschiedener Bakteriengattungen war rückläufig
- die Anzahl der „schützenden“ Laktobazillen deutlich vermehrt
Da Laktobazillen zu den schützenden Bakterien im Scheidenbereich gehören, deren „Schlagkraft“ ganz wesentlich von einer ausreichenden „Zufuhr“ von Östrogenen abhängt, ist das Ergebnis eigentlich erwartet. Sensationell ist aber, dass sich anscheinend auch in der Blase eine Änderung der „bakteriellen“ Besiedlung zeigt. Diese ist zwar nicht direkt sichtbar, aber durch die Messung von Ersatzzeichen – den Eiweißspuren. Sie stellen einen indirekten Fingerabdruck der Bakterien dar.
Drangbeschwerden der Blase und Östrogene
Die Frauen waren vor und nach der Behandlung mit Östrogene auch hinsichtlich ihrer Drangbeschwerden befragt worden. Auch die besserten sich, zwar nicht überdeutlich, aber nachweisbar.
Schon frühere Arbeiten – auch wenn es nicht oft untersucht wurde und schwierig meßbar ist – hatten dies gezeigt. Die lokale Gabe von Östrogenen hat also nicht nur einen schützenden Effekt bei der Vorbeugung vor wiederkehrenden Blasenentzündungen, sondern auch einen Therapieeffekt bei Drangbeschwerden.
Botschaft am Ende
Wirklich neu sind Hinweise, dass bei den Ursachen der Drangblase oder überaktiven Blase zukünftig auch Veränderungen des Mikrobioms berücksichtigt werden müssen. Wir sind noch weit davon entfernt, dass alles zu verstehen. Aber schon jetzt kann man sagen:
- wir müssen in Zukunft mit jeder Form der antibakteriellen Therapie noch vorsichtiger sein, weil sie nicht nur den scheinbaren Feind, sondern auch die notwendige Bakterienpopulation unseres Körpers schädigt und
- die Milchsäurebakterien (Laktobazillen) erweisen sich immer mehr als „gute Bakterien“. Deshalb werden sie bei der Drangblase als vielversprechender Kandidat für einen Biomarker bezeichnet.
- Man hätte dann ähnlich den „Fettwerten im Blut“ Messgrößen, vielleicht schon vorbeugend mit einer Therapie zu beginnen.