Das Rätsel der großen Prostata und die Spur der Transgender

„Warum wird die Prostata größer?“ ist eine Frage, die nicht nur betroffene Männer oft den Urologen stellen. Diese Frage stellten sich auch Forscher und Mitarbeiter der großen Pharmafirmen. Denn wer die Antwort fand, könnte auch den Schlüssel zur Beseitigung eines riesigen Gesundheitsproblems in der Hand halten, nämlich die Größenzunahme der Prostata bei älteren Männern aufzuhalten und die dadurch ausgelösten Problemen zu lösen.

Ein entscheidender Schlüssel fand sich in einer sehr kleinen Region der Dominikanischen Republik. Denn dort gab es ein sehr seltenes Phänomen: Kinder wurden als Mädchen geboren, entwickelten sich aber in der Pubertät zu Jungen, wenn auch mit kleinen Geschlechtsmerkmalen. Man nannte sie „Guavedoces“, was so viel bedeutete wie „Eier mit zwölf“ oder „Penis mit zwölf“.

Was lehren uns die Kastraten?

Sie sind ein vergangenes Beispiel dafür, dass das männliche Geschlechtshormon auch für die Prostata eine zentrale Rolle spielen muss. Im opernverrückten Italien hatte man zwischen dem 17. und 19 Jahrhundert Jungen noch vor der Pubertät die Hoden entfernt, damit die jugendlichen Sänger auch nach der Pubertät ihre Stimme behielten. Aber nur wenige Kastraten wurden berühmt und reich, die meisten fristeten ein armseliges Leben als Chorsänger oder Gesangslehrer. Nur einen Vorteil hatten die Kastraten:Im Alter litten sie nicht an den Beschwerden einer vergrößerten Prostata, denn die Drüse blieb wegen des fehlenden männlichen Geschlechtshormons winzig klein.

Beweise dafür liefern medizinische Untersuchungen an Kastraten in China. Die kaiserliche Familie hatte das Recht, von Eunuchen als Hausangestellten bedient zu werden. In der kaiserlichen »verbotenen Stadt« gab es davon mehr als 2000. Nach der Revolution 1911 und der Auflösung der »verbotenen Stadt« im Jahre 1923 mussten die Eunuchen das geschützte Areal verlassen. Einige von ihnen wurden medizinisch betreut und man fand bei späteren Leichenschauen winzig kleine Prostatadrüsen.

Bei einer kleinen Prostata bleibt der innere Weg für den Urin unbehindert, bei einer Vergrößerung muß der Blasenmuskel sehr stark arbeiten, um den Urin auszupressen. Der Blasenmuskel bekommt ein „Arnold Schwarzenegger“-Aussehen
Eine amerikanische Forscherin löst das Rätsel

Das äußerst seltene Phänomen der „Guavedoces“ faszinierte die amerikanische Professorin Julianne Imperato-McGinley. Ungefähr 2 Prozent der Neugeborenen in einer kleinen Region der Dominikanischen Republik waren bei der Geburt zweigeschlechtlich, aber eher weiblich. Deshalb wurden sie als Mädchen erzogen. Mit Eintritt der Pubertät kam es dann bei den Mädchen jedoch zu einer Geschlechtsveränderung. Sie bekamen eine tiefere Stimme, mehr Muskeln, im äußeren Genital formte sich die Klitoris zu einem kleinen Penis und in der Leiste bildeten sich Hoden. Man nannte diese »Mädchenjungen« »Guevedoces«, was so viel wie »Eier mit zwölf« oder »Penis mit zwölf« bedeutet. Unter diesem Namen wurde das Phänomen weltbekannt.

Dr. Julianne Imperato-McGinley dechiffrierte das Rätsel. Sie fand heraus, dass diese Kinder an einem seltenen Enzymmangel litten. Das männliche Geschlechtshormon Testosteron konnte an den Empfängerorganen nicht in die biologisch aktive Form des Dihydro- testosteron überführt werden. Deshalb hatten die Neugeborenen keinen Penis und keine sichtbaren Hoden. Mit Eintritt der Pubertät wurde dann der Anstieg des Testosterons jedoch so groß, dass es trotzdem zur Ausprägung der männlichen Geschlechtsorgane kam, aber deutlich schwächer als üblich. Die Mädchen – plötzlich zu Jungen geworden – hatten kaum Bartwuchs, einen sehr geringen Köperhaarwuchs, kleine Geschlechtsorgane und eine sehr kleine Prostata. Die Forscherin entschlüsselte den genetischen Defekt. Den Betroffenen fehlte die 5-Alpha-Reduktase (5AR).

Das männliche Geschlechtshormon Testosteron wird biologisch in einen „Turbo-Modus“ geschaltet, wenn „Dihydro“-Moleküle angehängt werden. Genau das macht die 5-alpha-Reduktase.

Da dieses Enzym gerade in der Prostata in hoher Konzentration vorkommt, kam man beim Pharmagiganten Merck & Co. auf die Idee, ein Medikament zu entwickeln, das dieses Enzym »künstlich« hemmt. Dann könnte man eine vergrößerte Prostata wieder zum Schrumpfen bringen. Dies gelang schließlich nach fünfzehnjähriger Forschung, und 1992 wurde in den USA die Substanz Finasterid als erstes Medikament zur Verkleinerung einer vergrößerten Prostata zugelassen. Es wurde eine Milliardengeschäft für die Firma und hat sicher viele Männer vor einer Operation bewahrt. Aber die Hoffnung, außerdem ein Medikament gefunden zu haben, welches das Risiko der Entstehung eines Prostatakrebses vermindert, wurde enttäuscht.

Botschaft am Ende

Den genauen Mechanismus, warum die Prostata größer wird, hat man immer noch nicht entdeckt. Vermutlich sind es mehrere Mechanismen, da sowohl das Gewicht der Männer, ihre genetische Veranlagung und der Hormonstoffwechsel eine Rolle spielen. Dies wird noch einmal in einem eigenen Beitrag erläutert. Jedenfalls haben die Forschungen von Dr. Julianne Imperato-McGinley Wissenschaftsgeschichte geschrieben und gelten zurecht als ein Meilenstein.

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