Silver Surfer, Östrogene & Zystitis: 1

Es ist bekannt, dass ältere Frauen ein deutlich erhöhtes Risiko haben, eine Blasenentzündung zu bekommen. Und tatsächlich: es gibt eine Zusammenhang von weißen Haaren und dieser erhöhten Anfälligkeit, allerdings lediglich bei der Frau.

 

Östrogenmangel im Alter ist „normal“

 

Im Alter sinkt der Östrogenspiegel der Frau

 

Im Alter werden alle Funktionen schwächer, auch die Hormonproduktion. Die nachlassende Östrogenbildung tritt in etwa ab dem 50. Lebensjahr auf. Eine Folge sind die ausbleibenden Monatsblutungen, was als Menopause bezeichnet wird.

 

Auswirkungen im Genitalbereich

 

Der Östrogenmangel führt zu einer Verminderung der Durchblutung der Vaginalschleimhaut (3), einer Abnahme der Elastizität des Scheidengewebes und der Sekretion von Vaginalflüssigkeit. Es kommt auch zu einer Gewebeminderung in der Gebärmutter (2) und den Eierstöcken (3). Man bezeichnet diesen Schwund des Gewebes allgemein als Atrophie.

 

Auswirkungen auf den unteren Harntrakt

 

Ein Östrogenmangel kann – unabhängig von der Alterung – mehrere Folgen haben

  • Schwächung des Beckenbodens (1)
  • an der Harnröhre (2) erleichtertes Eindringen von Bakterien, weil Folgendes passiert (3):
    • Verlust an Gewebefestigkeit
    • verminderte Blutpolstern unter der Schleimhaut
    • verminderten Bildung von Schutzeiweiß

 

Es wurde jüngst gezeigt, dass die lokale Gabe von Östrogenen auch das Verhalten der Blase beeinflusst (Cheng, 2016). Die behandelten Frauen haben ein normalisiertes, nicht mehr so überfallsartig auftretendes Miktionsgefühl und eine verbesserte, weil gesteigerte Blasenkapazität (Matarazzo, 2018). Dies ist gerade bei dem häufigen Beschwerdebild der Reizblase ein wichtiger Effekt. Ein indirekter Zusammenhang ist die durch den Östrogenmangel ausgelöste bakterielle Infektanfälligkeit. Besonders ausgeprägt sind die Veränderungen an der Harnröhre, also der Endstrecke zwischen Blase und Körperausgang.

 

Die Harnröhre – übrigens oft mit dem Harnleiter als Verbindung zwischen Niere und Blase verwechselt – ist mit 4-5 cm zwar kurz, aber von größter Bedeutung. Bei der Behandlung einer „gealterten“ Harnröhre mit Östrogenen bekommt das Gewebe wieder mehr „Füllung“ und wird fester. Dadurch wird nicht nur die Infektabwehr der Harnröhre gegen Bakterien gestärkt, sondern auch die „Abdichtung“ der Blase unterstützt.

 

Östrogene helfen den Laktobazillen

 

Die Scheidenzellen sind im Alter als Folge eines Östrogenmangels zurückgebildet (1). Gibt man lokal Östrogene als Tabletten oder Salben (2), baut sich die Schleimhaut der Scheide wieder auf (3). Die Scheidenzellen bilden dann wieder Zucker (Glykogen, 4), den die Laktobazillen (5) für ihren Stoffwechsel brauchen. Die Laktobazillen sind dann entscheidend bei der Infektbekämfung, indem sie Milchsäure als Säureschutz (A), Wasserstoffperoxid als desinfizierende Substanz (B) und lokale Abwehrstoffe (C und D) bilden.

 

Was hat das mit den „Silver Surfern“ zu tun ?

 

Wasserstoffperoxid, das auch die Laktobazillen der Frau bilden, bleibt im Alter vermehrt in den Haarzellen und blockiert ein Eiweiss, das Melanin herstellt. Als Ersatz werden in den Haaren Luftbläschen eingelagert – sie erscheinen dann weiss oder grau.

Das Wasserstoffperoxid, das die Laktobazillen quasi als chemischen Kampfstoff ausschütten, wird auch vom menschlichen Körper genutzt. Ist beispielsweise die Eizelle der Frau befruchtet, bildet diese Eizelle das Wasserstoffperoxid, um später eindringende Spermien abzutöten. Bei den weißen Haaren geht es jedoch um keine Abwehrschlacht, sondern eine altersbedingte Verschiebung der Ansammlung von Wasserstoffperoxid. Forscher haben es erst vor wenigen Jahren entdeckt, das diese Ansammlung von Wasserstoffperoxid in den Haarwurzeln dort die Bildung des Farbstoffs Melanin hemmt (Wood, 2009). Statt dessen werden Luftbläschen in den Haaren eingebaut – und man wird grau- oder weißhaarig.

 

Und wie kann man den Östrogenmangel erkennen ?

 

 

Ein Östrogenmangel in der Scheide wird nicht direkt wie bei einem Blutwert gemessen, sondern indirekt über dessen Folgewirkungen. Hierzu wird der / die Frauenärztin rein klinisch die Beschaffenheit des Gewebes beurteilen. Ergänzend bestimmt man ganz einfach mit Teststreifen den Säuregrad der Scheidenflüssigkeit, den sogenannten pH-Wert. Je alkalischer, also je säureärmer das Scheidensekret ist, desto schlechter ist es, weil dann die Abwehr fremder Bakterien versagt. Außerdem erfolgt eine mikroskopische Beurteilung der Vaginalzellen. Man beurteilt den sogenannten VMI (Vaginaler Maturations-Index). Dieses Wortungetüm meint nichts anderes, als dass das Verhältnis oberflächlicher zu tiefen Zellen beurteilt wird. Sind mehr als 15 % der Zellen im Präparat oberflächlich, spricht das für einen guten Zellumsatz und ist normal. Letztlich ist die Feststellung eines lokalen Östrogenmangels also einfach und ohne teure Bluttests möglich.

 

Tritt ein Östrogenmangel nur bei „Silver Surfern“ auf ?

 

Frauenärzte wissen, dass rund ein Viertel der jüngeren Frauen, die die Pille nehmen, atrophische Gewebeveränderungen in der Scheide haben. Das liegt an der Pille, da diese den Regelkreislauf der Hormone beeinflusst. Hat das Präparat einen sehr niedrigen Anteil von normalem Östrogen (Ethinylestradiol), kann der durch die Pillenunterdrückung ausgelöste Mangel an Östrogen in der Scheide nicht ausgeglichen werden. Dann kommt es zu ähnlichen Mangelerscheinungen wie bei den „Silver Surfern“. Deshalb sollten auch jüngere Frauen mit wiederkehrenden Blasenentzündungen, wenn sie die Pille nehmen, vom Frauenarzt nachschauen lassen, ob Zeichen eines Östrogenmangels vorhanden sind.

 

Schützen Östrogene auch junge Frauen vor Blasenentzündungen?

 

Von den berühmten besonderen Ausnahmen abgesehen, gibt es keine sicheren Belege, dass junge Frauen – die ja in aller Regel einen normalen Östrogenspiegel haben, von einer lokalen Östrogenersatzgabe profitieren. Es gibt lediglich eine kleinere Fallserie mit 30 Frauen aus dem Jahre 2005, die allerdings alle die Pille nahmen (siehe oben, Effekt Pillenunterdrückung) . Sie erhielten über 4 Wochen lokal Östrogene. Bei 24 der 30 Frauen (80 %) kam es in den folgenden 11 Monaten zu keinen Blasenentzündungen (Pinggera, 2005). Aber: Die Diagnostik eines Östrogenmangels ist so einfach und zuverlässig, dass sie im Einzelfall erfolgen sollte. Außerdem kann damit auch eine „bakterielle Vaginose“ ausgeschlossen werden. Hierbei handelt es sich um ein Ungleichgewicht der Vaginalflora insbesondere mit einem Mangel an Laktobazillen und überwuchernden Bakterien.

 

Botschaft am Ende

Ein Östrogenmangel in der Scheide ist elementar. Aber entgegen der landläufigen Meinung kann er auch im jüngeren Alter auftreten. Deshalb sollten Betroffen ihre Frauenärztin um eine entsprechende Diagnostik bitten

Und zur Therapie: Dazu lesen Sie bitte Teil 2.

 

 

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