Rätselhaftes „Rheuma der Blase“

Obwohl die Erkrankung seit mehr als 100 Jahren bekannt ist, hatte sie keiner wahr genommen. Es war Vicki Ratner, eine junge Medizinstudentin, die die Erkrankung im Jahr 1983 in den USA populär machte.

Sie hatte immerzu Harndrang und einen brennenden Blasenschmerz, aber keiner fand die Ursache. Ein Arzt hatte ihr sogar geraten, sie „solle endlich heiraten und ein traditionelles Leben führen“, dann würde es besser. Eines Nachts fand sie dann – lange vor der Zeit der Online-Recherche – in der Universitätsbibliothek einen Artikel, der genau ihre Symptome beschrieb. Und dass es für die Diagnosenstellung unerläßlich sei, die Blase in Narkose mit Flüssigkeit stark zu dehnen. Es dauerte aber Monate, bis Vicki Ratner ihren Urologen überzeugen konnte, genau das zu machen.

Denn dabei zeigt sich etwas sehr Charakteristisches! Es kommt zu einem Einreissen der Schleimhaut mit kleinen Blutschwämmchen, die dann tropfenartig bluten. Daher der Begriff der „weinenden Blase“. Diese Erkrankung trug den Namen „Interstitielle Zystitis“.

Bei der gezielten Überdehnung der Blase (rechts), die in Narkose erfolgen muss, geschieht bei der „rheumatischen“ Blase etwas ganz typisches, nämlich ein Einreissen der Schleimhaut („Cracking“) mit Blutungen. Ohne Narkose würde dies keine Betroffene aushalten!

Links sieht man eine normale Blasenschleimhaut, in der Mitte eine rheumatisch erkrankte Blase. Man sieht punktförmige Blutschwämme (Mitte), die bald danach anfangen, einen „Blutregen“ auszulösen (rechts).

Was passierte weiter?

Die Geschichte von Vicki Ratner gelangte durch Zufall an einen Journalisten, der sie zu der populären Radiosendung „Good Morning America“ einlud. Erst dachte sie, keiner hätte sich für ihre Geschichte interessiert. Bis sie nach einer Woche einen Anruf erhielt, sie solle doch bitte ihre Post abholen. Es waren nicht nur ein paar Briefe eingetroffen, sondern gleich körbeweise.

Gründung einer Selbsthilfegruppe

Ein 1/2 Jahr später wurde sie zu einer 2. Sendung eingeladen, das Echo war wieder überwältigend. Daraufhin traf sie sich mit ein paar anderen Betroffenen, sie sichteten gemeinsam die Briefe und antworteten den Absendern. Am Ende gründeten sie eine Selbsthilfegruppe, die „Interstitial Cystitis Association“. Heute ist die Organisation „mächtig“ und hat einen hohen Bekanntheitsgrad, damals fingen sie erst einmal an, die Erkrankung bei Urolog*innen bekannt zu machen.

Viel später wurde auch in Deutschland eine Gruppe gegründet und die deutsche Vicki Ratner wurde Frau Bärbel Mündner-Hensen. Für ihren Einsatz zur Gründung der „ICA – Deutschland e.V.“  wurde sie vom damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Botschaft am Ende

Auch heute noch wird die Erkrankung lange „übersehen“. Meist konsultieren die Betroffenen mehrere Ärzt*innen, bis Jemand den Mut fasst, bei den Betroffenen eine Narkoseuntersuchung mit der gezielter Überdehnung der Blase zu veranlassen. Nur dann kann sie erkannt werden, denn es gibt keinen Blut- oder Urintest. Diese Odyssee belastet viele Betroffene, sie glauben oft selbst, „verrückt“ zu sein. Und sie sind dann umso erleichterter, dass eine Erkrankung mit einem Namen dahinter steckt.  Auch wenn die Ursache nach wie vor unbekannt und die Therapie unsicher ist, hat der „Blasenterrorist“ dann wenigstens ein Gesicht und einen Namen.

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