Häufiges Wasserlassen: Was passiert da?

Es ist ein Klassiker in der urologischen Sprechstunde. „Ich muss dauernd auf die Toilette“, klagen die Betroffenen. Und im schlimmsten Fall werden die täglichen Besorgungen oder Spaziergänge nicht mehr frei geplant, sondern wie bei einer Schnitzeljagd nach den am besten erreichbaren Toiletten geplant.

Im medizinischen Fachjargon bezeichnet man dieses Phänomen als Pollakisurie. Aber steckt dahinter eine Krankheit? Was sind wichtige Hinweise auf eine Erkrankung?

Wie oft ist denn zu oft?

Die Häufigkeit der Entleerung der Blase hängt im Normalfall von der Menge der zugeführten Flüssigkeit ab. In den meisten Empfehlungen für ein gesundes Leben wird empfohlen, man soll mindestens 2 Liter Trinken. Aber ist diese Regel begründet? Oder ist es nur eine raffinierte Werbestrategie der Industrie, um den Trinkverbrauch zu steigern?

Es gibt einen berühmten Artikel des renommierten Wissenschaftlers Prof. Heinz Valtin aus den USA, in dem er um eine Stellungnahme gebeten wurde, ob man jeden Tag 8 x 8 Gläser Wasser (= ca. 2 Liter) trinken muß? In diesem oft zitierten Beitrag berichtet er von einer exakten und sorgfältigen Protokollierung des Flüssigkeitsumsatzes von 69 seiner gesunden Medizinstudenten. In der Abbildung (s. Bild) wird dargestellt, dass die Urinmenge im Durchschnitt ungefähr 1,5 Liter betrug, der Rest wird mit der Atmung und dem Darm ausgeschieden. Bemerkenswerter Weise hatten die Studenten lediglich 1,2 Liter getrunken, der Rest der Flüssigkeit wurde mit der Nahrung zugeführt und entstand durch den eigenen Stoffwechsel.

Nimmt man diese Ausscheidung von ungefähr 1.5 Liter als Regel, wird verständlich, dass man bei einer regelrechten Blasenkapazität von 300 – 500 ml über den Tag die Blase nicht häufiger als 5-6 Mal entleeren müßte. Und trinkt man etwas mehr, wären es vielleicht 8 „Wassergänge“, aber nicht mehr.

Ursachen, warum man zu häufig auf die Toilette rennen muß?

Es gibt eine Vielzahl von Ursachen, die die Betroffenen zu einem häufigen Toilettengang zwingen. Nicht alle sind „krankhaft“. Einige können beseitigt werden, wenn man Verhaltensweisen ändert. Aber es gibt Funktionsstörungen oder Erkrankungen, bei denen die hohe Frequenz der Toilettengänge als Folgewirkung einer Erkrankung auftritt.

1) (Zu) große Trinkmenge

Trinkt man sehr viel, aus welchem Grund auch immer, muss man die Blase häufig entleeren. Das kann eine Angewohnheit sein, aber auch bei Krankheiten auftreten. Typisch ist der Diabetes. Um das durch „unverdauten“ Zucker zu konzentrierte Blut zu verdünnen, trinkt der Betroffene übermäßig. Außerdem kommt es zu einer Zuckerausscheidung mit dem Urin, der wiederum Wasser bindet. Dieses Phänomen wird im Volksmund auch als „Harnflut“ bezeichnet.

Selten ist ein sogenannter Diabetes insipidus. Eine Hormonstörung führt dazu, dass die Konzentration des Urins nicht mehr richtig funktioniert. Dann scheidet der Betroffene zuviel „unkonzentrierten“ Urin aus.

2) Alkohol, Koffein und wassertreibende Medikamente

Es gibt viele Substanzen, die zu einer vermehrten Urinausscheidung führen. Bekannt sind die sogenannten Diuretika, also die Wasserausscheidung fördernde Medikamente. Sie hemmen den Konzentrationsprozess in der Niere und man scheidet mehr aus. Sie werden meist bei Leuten mit zu hohem Blutdruck eingesetzt, da dadurch der Druck in den Blutgefäßen gesenkt wird. Man soll diese Medikamente vormittags einnehmen, um die Betroffenen nicht nachts auf die Toilette zu treiben.

Auch bestimmte Tees und Alkohol haben einen wesertreibenden Effekt. Bei Alkohol kennt man den „Nachdurst“. Nach neueren Erkenntnissen ist es nicht nur der direkt wassertreibende Effekt des Alkohols. Nach neueren Erkenntnissen soll in der Leber durch den Alkohol ein Stoff gebildet werden, der wassertreibend wirkt.

3) Harnwegsinfektion

Ein typisches Zeichen der Blasenentzündung ist der häufige Harndrang, der dann aber fast immer mit Schmerzen auftritt. Der Harndrang verschwindet, sobald die Entzündung abgeklingt, ob mit oder auch ohne Antibiotika.

4) Scheidenentzündung (Vaginitis)

Bei einer Entzündung der Scheide kann durch die Reizung des Unterleibs auch der Harndrang aktiviert werden. Die typischen Zeichen einer Entzündung der Scheide sind ein vermehrter Ausfluss (1), der einen typisch fischartigen Geruch hat, den sogenannten Amingeruch (2). Untersucht man im Mikroskop den Ausfluss, kleben auf den Scheidenzellen punktförmig die Bakterien (3,B), was bei Zellen einer gesunden Scheide nicht auftritt (3,A). Zudem ist das Scheidensekret im Normalfall sauer, wenn man es mit einem Teststreifen untersucht. Bei einer Entzündung ist es alkalisch (4).

5) Überaktive Blase

Das typische Zeichen einer überaktiven Blase ist der plötzlich einschießende Drang, auf die Toilette zu müssen. Ein Patient sprach einmal vom „Blitzpinkeln“. Die Ursachen sind weit gefächert und reichen von Stoffwechselstörungen wie dem Diabetes bis zu neurologischen Ursachen wie die Multiple Sklerose bis hin zu altersgeschwächten Blase, die ihre Elastizität verloren hat. Es gibt viele sehr gute und effektive Therapien, die abgestuft versucht werden müssen. Der entscheidende Schritt – ein gutes Blasentraining – erfordert aber die Mitarbeit der Betroffenen und Geduld.

6) Rheuma der Blase (Interstitielle Zystitis)

Die Interstitielle Zystitis sollte besser als „Rheuma der Blase“ bezeichnet werden. Denn die Betroffenen – und es sind zu 90 % Frauen – beschreiben nicht nur den immer währenden Harndrang, sondern auch  zunehmend einen Blasenschmerz. Ein häufiges Begleitsymptom sind auch Schmerzen in Scheide, die einen Geschlechtsverkehr stark behindern.

Die Diagnose der Erkrankung ist nicht einfach. Oft wird es mit einer psychischen Labilität oder unbestimmten Reizblase „verwechselt“. Letztlich kann die Diagnose nur durch eine Blasenspiegelung mit einer Überdehnung erfolgen, bei der es dann zu charakteristischen Einrissen mit Blutungen kommt (sog. „weinende Blase“)‘.

7) Blasenkrebs (Carcinoma in situ)

Auch bei bösartigen Erkrankungen der Schleimhaut der Blase kann es zu Reizungen und einem vermehrten Harndrang kommen. Wenn diese Tumore pilzartig in das Innere der Blase wachsen, kann man sie bei einer gut gefüllten Blase bereits mit Ultraschall erkennen. Oft kommt es bereits früh zu einem Auftreten von Blut im Urin, so dass eine Blasenspiegelung erfolgen sollte. Sehr viel schwieriger zu erkennen ist ein flach wachsender Krebs der Blasenschleimhaut, das sogenannte Carcinoma in situ. Zur Sicherung muss man eine mikroskopische Untersuchung des Urins und eine Gewebeprobe in einer Kurznarkose durchführen.

8) Fremdkörper und Blasensteine

Ein Fremdkörper in der Blase führt meist zur Reizung mit vermehrtem Harndrang und mitunter auch zu Blutungen und Entzündungen. Ein Stein als Fremdkörper ist bei der Frau eine Rarität. Denn Blasensteine entstehen durch Restharn, wie er typischerweise beim Mann bei einer vergrößerten Prostata mit erschwerter Blasenentleerung auftritt.

Grundsätzlich verschieden sind Fremdkörper in der Blase, die nur durch „Automanipulation“ eingeführt werden können. Bei Frauen gibt es beispielsweise das Phänomen, das Empfängnis-verhütende Pillen aus Versehen in die Blase geschoben wurden.

In der Regle finden sich die Fremdkörper jedoch bei Männern und werden zum Zwecke der sexuellen Erregung in die Harnröhre eingeführt. Die Palette reicht von Drähten über Stifte bis hin zu Perlenketten. Wenn sie sich in der Schleimhaut verhaken, können sie nicht mehr heraus gezogen werden und wandern „aufwärts“ in die Blase. Mitunter stellen sich dann die Betroffenen erst Jahre später wegen Schmerzen oder Blutungen beim Urologen vor.

9) Östrogenmangel an der Harnröhre

Schon lange vermutet, haben es auch jüngste Forschungsergebnisse bestätigt. Ein Mangel an Östrogenen im Bereich der Mündung der Harnröhre am Scheideneingang kann zu einem vermehrten Harndrang führen. Deshalb hilft ein lokaler Ersatz von Östrogenen im Bereich der Scheide und führt zu einer Besserung der Drangbeschwerden. Höchste interessant sind in diesem Zusammenhang auch genetische Spuren, die auf ein bislang verstecktes Mikrobiom der Blase hinweisen und sich unter Östrogentherapie verändert.

10) Zu kleine Blasenkapazität

Auch wenn man normal trinkt, kann es bei einer zu kleinen Blase zu einem häufigen Harndrang kommen. Denn wenn die Blase nur noch 100-150 ml Volumen fasst, wird man dementsprechend häufig laufen müssen. Die Gründe sind vielfältig. So kann es beispielsweise auch beim Rheuma der Blase auftreten (s. oben).

Nicht selten ist es aber ein Altersphänomen. Rennt man bei jedem Drang sofort auf die Toilette, verliert die Blase an Elastizität und schrumpft. Ich spreche hier gerne von der „Rentnerblase“, weil man die Zeit hat, bei jedem kleinen Drang auf die Toilette zu rennen. Hier muss man versuchen, mit einem gezielten Blasentraining die Blase wieder zu dehnen und eventuell mit ergänzenden Massnahmen unterstützend helfen. Dazu aber später mehr in einem separaten Blogbeitrag.

Botschaft am Ende

Das häufige Wasserlassen ist eines der berühmten „Chamäleons in der Medizin“.  Damit ist gemeint, dass die Ursache nicht direkt offensichtlich ist und die Betroffenen allzu leicht in die Ecke der psychisch Labilen geschoben werden oder sich selbst dort „verstecken“.

Hinter dem Symptom der häufigen Blasenentleerung können sich vielfältige Ursachen stecken. Bei allzu leichtfertiger ärztlicher Verschreibung von blasendämpfenden Medikamenten können aber die Betroffenen im Sinne einer Selbstfürsorge dazu beitragen, den wahren Grund zu finden. Ein Grundpfeiler ist die Selbstbeobachtung, ob es nur in bestimmten Lebenssituationen oder ständig auftritt. Hilfreich ist insbesondere das Erstellen eines Protokolls der zugeführten und ausgeschiedenen Trink- und Urinmengen über mehrere Tage.

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