Bakteriophagen und Blasenentzündungen: Eine Betroffene berichtet

Im Jahre 2023 hatte ich für diesen Blog einen aktuellen Beitrag über die Anwendung von Bakteriophagen zur Therapie von Blasenentzündungen erstellt. Am Ende des Beitrages habe ich geschrieben:

„Wenn jedoch Phagen von ausländischen Herstellern (meist aus Tiflis) angefordert werden, ist es für den Einzelnen sicher schwer, zwischen individuell gerechtfertigter Verzweiflungstat und medizinisch ausreichend hinterlegter Wahrscheinlichkeit eines Therapieerfolges zu unterscheiden. Es bleibt aber zu vermuten, dass mit dem „Rettungsanker“ Phagentherapie viel Geld verdient wird ohne zertifiziert offen zu legen, welche Testung, welche Dosierung und welche Phagen im Einzelfall genutzt wurden. Es wäre wünschenswert, wenn verzweifelte Betroffene hier nicht alleine gelassen würden. Als Autor des Blogs biete ich an, Vermittler von Informationen und Erfahrungsberichten zu sein.“

Ein Forum für Betroffene

Aufgrund des Blogs und der Bücher werde ich von vielen Betroffenen angeschrieben und ich versuche allen zu antworten und weiterzuhelfen, was sicher nicht immer gelingen kann. Aus diesen Mail-Korrespondenzen stammt der Bericht einer Betroffenen, der man im Rahmen einer Operation einen Katheter gelegt hatte, woraufhin sie anhaltende bakterielle Blasenentzündungen bekam. Diese verschwanden selbst nach hochdosierten und lang anhaltenden antibiotischen Therapien nicht und irgendwann folgte dann der verzweifelte (und teure) Versuch der Therapie mit Bakteriophagen. Ihre Erfahrungen und der resultierende Bericht sind aufschlußreich und erlauben einen Blick hinter die Kulissen, den man ansonsten nicht bekommt (siehe unten).

Schließlich riet man der Patientin, sich die Blase entfernen zu lassen, was man in aller Regel nur bei einer Tumorerkrankung der Blase macht. Kurz vor diesem lebensverändernden Eingriff erfuhr sie jedoch von weiteren Therapiemöglichkeiten, die unter anderem in England angeboten werden.

Sie reiste nach London und man informierte sie über die Möglichkeit, Antibiotika direkt in die Blase zu geben, die sogenannte „intravesikalen“ Therapie. Und tatsächlich half es und sie kommt damit seitdem gut zurecht. Weil sich jedoch die Empfindlichkeit ihrer Blasenbakterien geändert hatte, brauchte sie jetzt ein spezielles Antibiotikum, das normalerweise flüssig in das Blut gegeben wird. Ihre Urologin wollte es ihr jedoch nicht verschreiben – weil es nicht zur Gabe in die Blase zugelassen ist. Dann las sie meinen Blog und schrieb mich an.

Der Bericht einer Betroffenen über ihren Therapieversuch mit Bakteriophagen (im Original)

„Lieber Professor Roth,

gerade lese ich Ihren Blogartikel über die Therapie mit Bakteriophagen und wollte sie an meinen Erfahrungen teilhaben lassen.

Ich war selber Patientin am Eliava-Institut, und die Therapie lief folgendermassen ab:

  • Nach Erstkontakt erhielt ich einen Testkit um meine Keime festzustellen. Nach 8 Tagen erhielt ich das Resultat (188 EUr) – bei mir, wie üblich und in den meisten vorherigen Standardkulturen gefundene Klebsiella Pneunomia und Enterococcus faecalis
  • Eine 1 stündige Sprechstunde mit einer „Ärztin“ die mir zugewiesen wurde und ich Fragen stellen konnte; die Fragen die mich am meisten umtrieben waren: können die Phagen wenn oral verabreicht, in der Blase unbeschadet ankommen? (Antwort- wir vermuten es); kann ich die Phagen auch instillieren lassen? (Antwort: dazu müssen Sie herkommen, bei der Ferntherapie dürfen die Phagen nur geschluckt werden; auf mein Drängen, es selbst in klinischem Setting versuchen zu dürfen, wurde schliesslich eingewilligt; Frage: können die Keime auf die Phagen resistent werden wie auf Antibiotika? Antwort: nein)
  • Ich erhielt einen „Phagencocktail“ gegen den Enterococcus faecalis, der in den Kosten für die Ferntherapie (1.900 Euro) enthalten war, und einen „extra für mich hergestellten Spezial-Phagen“ gegen den Klebsiella Pneunomia (1.900 Euro extra), außerdem ein Antibiogramm, das aber zeigte dass meine beiden Keime quasi auf fast alle getesteten Antibiosen resistent waren
  • Der Cocktail erreichte mich nach ca. 2 Wochen und ich musste täglich morgens und abends eine Phiole trinken, eine instillieren, und ein Scheidenzäpfchen einführen
  • Die Spezialphagenmischung erreichte mich nach 12 Wochen, Einnahmeschema das Gleiche
  • Mir wurde geraten 1) auf Antibiotikaeinnahme wenn möglich zu verzichten 2) die Phagen nüchtern mit Bicarbonate of Soda oder Joghurt einzunehmen
  • Leider bekam ich nach 3 Tagen Einnahme Blasenschmerzen und machte eine Kultur (Enterococcus zeigte sich) , ich behandelte dann doch mit Antiobiotika und gab Rückmeldung in Tiflis, daraufhin wurde um eine Urinprobe und Scheidenabstrich gebeten: diese ergab den Enterococcus in der Scheide und Klebsiella im Urin à dann kam eine Email mit der Info, der Enteroccoccus in der Scheide sei leider auf „den Phagencocktail resistent geworden“ und man riet mir, eine Spezialphagen anzufordern (Kostenpunkt weitere 1.900 Euro)
  • Nach Ablauf der Ersttherapie hatte ich nach wie vor meine beiden Keime und war um knapp 6.000 Euro ärmer
  • Ich brach die Therapie daraufhin ab, obwohl mir noch mehrfach weitere Runden mit Phagen zum einem Nachlass von 10% angeboten wurden
  • Auf meine Email, wie enttäuscht ich sei, kam nur die Antwort dass Phagen bei einer chronischen Blaseninfektion selten zum Erfolg führen würden wegen der Biofilme, die die Bakterienkolonien schützen würden und den Bakterien einen Austausch Ihrer Resistenzgene untereinander ermöglichen würden
  • Ich schrieb meine Erfahrungen auch meinem Arzt in London, der meinte, er hätte dies befürchtet und auch ihm läge die Information vor, dass „Phagen Biofilme nicht penetrieren können“

Ich versuchte ein Jahr später nochmals eine Phagenrunde, da ich eine erweiterte Niedrigkeimkultur (Urinkultur länger bebrütet und Info über Wachstum schon bei 1.000 cfu/ml)  bei Nordlab in Hameln machen lies und nach mehrmaligen Telefonaten mit dem Laborleiter Dr.Grützner mir angeboten wurde, meine Keime auf dem Labor vorliegenden Phagen zu testen. Nach festgestellter Sensivität auf einen Phagencocktail von Eliava bestellte ich nochmals eine Runde eines Phagen, der noch nicht von Eliava versucht worden war, aber wohl auch eine Standardmischung ist – ich nutze das selbe Anwendungsschemata aus Trinken und instillieren. Leider auch ohne Erfolg.

Ich kann also leider bei mir keinen Erfolg verzeichnen und würde anderen Leidtragenden von dieser sehr teuren Therapie abraten. „

Botschaft am Ende

Es ist verständlich, dass die regulierenden Behörden bei jeder Behandlung mit lebenden Organismen streng kontrollieren und reglementieren. Denn Bakteriophagen werden wie Arzneimittel behandelt und es gelten die gleichen strengen Zulassungsbestimmungen wir für Arzneimittel. Zudem haben Firmen wenig Interesse, in die weitere Entwicklung zu investieren, weil die Bakteriophagen patienten-bzw. keimspezifisch sind und damit kaum patentiert und wirtschaftlich für den Hersteller geschützt werden können.

Man kann nur hoffen, dass es im Rahmen des Phage4Cure-Projektes zukünftig auch Initiativen gibt, die sich mit dem Thema der wiederkehrenden Blasenentzündungen beschäftigen werden. Dieses Projekt wurde 2017 von der Charité und 2 Forschungsinstituten gegründet, um sich mit der Entwicklung von Bakteriophagen als alternative Therapie gegen multiresistente bakterielle Infektionen zu beschäftigen. Es wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und es ist das Ziel, standardisierte Phagen-Präparate herzustellen, klinisch zu erproben und langfristig eine Zulassung als Arzneimittel zu ermöglichen. Aktuell geht es jedoch „nur“ um den Fokus inhalativer Bakteriophagen zur Therapie bakterieller Lungenentzündungen.

Noch vor 20 Jahren hätten sich junge Forscher sicher auf den Weg gemacht, dies auch zur Therapie bakterieller Blasenentzündungen zu etablieren. Derzeit gibt es aber leider einen zunehmenden Mangel an jungen Menschen, die sich noch auf den steinigen und entbehrungsreichen Weg der Forschung machen wollen – und zudem, wenn der Forschungsfokus komplett neu aufgebaut werden muss.

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